Ethiktagung 2016


Cover des Einladungsflyers zur Veranstaltung "Die Rolle der Patientenvetretung in Ethik-Kommissionen und Klinischem Ethik-Komitees" am 25.11.2016

Patientinnen und Patienten nehmen ehrenamtlich Aufgaben in medizinischen Ethikkommissionen und klinischen Ethikkommissionen wahr. Bisher gab es für diese wichtige Aufgabe keine Unterstützungsstrukturen. Deshalb hat die Koordinierungs- und Vernetzungsstelle für Patientenbeteiligung in Zusammenarbeit mit dem PatientInnen-Netzwerk NRW, dem Koordinierungsausschuss der Patientenorganisationen nach §140f SGB V und dem Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes NRW im November 2016 eine Tagung zum Thema „Die Rolle der Patientenvertretung in Ethikkommissionen und Klinischen Ethikkomitees“ im St. Anna-Hospital (Herne) veranstaltet.

Neben theoretischen Einblicken in die Arbeit der Patientenvertretung in Ethikkommissionen und Klinischen Ethik-Komitees, hat die Veranstaltung vor allem dem Austausch und der Vernetzung unteeinander gedient.
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Die Beiträge und Referate können Sie mit Klick auf die untenstehenden Titel aufklappen.
Patientenbeteiligung in Ethikkomissionen und Klinischen Ethikkomitees – Dr. Arnd T. May

Dr. Arnd T. May, Medizinethiker, Ethikberater und Geschäftsführer von ethikzentrum.de – Zentrum für Angewandte Ethik, hielt den Einführungsvortrag auf dem Fachtag „Die Rolle der Patientenvertretung in Ethik-Kommissionen und Klinischen Ethik-Komitees“. Zunächst stellte er die Arbeit der Forschungsethikkommissionen vor, welche die ethische und rechtliche Beurteilung von Forschungsvorhaben vornehmen. Wichtig dabei ist es den Schutz der Rechte, der Sicherheit und des Wohlergehens von Patientinnen und Patienten bzw. Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmern sicherzustellen und die Freiwilligkeit zur Studienteilnahme zu gewährleisten. In der aktuellen Diskussion spielt zum Beispiel die Teilnahme von Personen, die nicht einwilligungsfähig sind, eine wichtige Rolle. Zuletzt erlaubte der Bundestag z. B. Medikamententests an Menschen mit Demenz. Auch hierüber müssen Ethikkommissionen nun entscheiden. Forschungsethikkommissionen sind entweder an den medizinischen Fakultäten oder an den Landesärztekammern angesiedelt und „aus gutem Grund nicht nur mit Chefärzten besetzt“, so May. Forschungsethikkommissionen achten im Wesentlichen auf die Einhaltung normativer Standards, wie dem Arzneimittelgesetz, dem Medizinproduktegesetz oder dem Transfusionsgesetz. Auch die Deklaration von Helsinki, die die ethischen Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen vereint, dient als Entscheidungsgrundlage. Allerdings ist der Abwägungsprozess häufig schwer, denn es muss ein „Spagat zwischen Forscherinteressen und den Interessen der Patientinnen und Patienten vollzogen werden“. So ist zum Beispiel Placebo-Forschung oft eine Gratwanderung, da einzelnen Patienten und Patientinnen Medikamente studienbedingt gezielt vorenthalten werden.

Neben Personen aus den Fachbereichen Jura, Medizin und Ethik sind auch Laien in Ethikkommissionen vertreten. Hierzu merkte May kritisch an: „Was macht eine Ethikkommission besser, wenn ein Laie in der Ethikkommission sitzt?“ Sicherzustellen sei auf jeden Fall, dass alle Personen die Fakten verstehen, insbesondere auch wenn es um Fragen der Versuchsplanung und Statistik gehe. Denn: „Wenn jemand mit einer Laienperspektive Mitglied einer Ethikkommission sein soll, darf keine Fachsprache vorherrschend sein“, gibt May zu bedenken.

Für ethische Entscheidungen im medizinischen Kontext haben Tom Beauchamp und James F. Childress vier Prinzipien der biomedizinischen Ethik entwickelt. Sie lauten:
1. Respekt der Autonomie des Patienten (respect for autonomy)
2. 2. Schadensvermeidung (nonmaleficence),
3. Fürsorge (beneficence)
4. Gerechtigkeit (justice)

Im Krankenhaus entstehen häufig Moralprobleme. Sie ergeben sich immer dann, wenn etwas schlecht läuft bzw. Unrecht wahrgenommen wird und mehrere Alternativen zur Auswahl stehen, die eine Situation verbessern könnten. Deshalb gehören zu den typischen Aufgaben von Klinischen Ethik-Komitees:
• Die Schulung moralischer Urteilskraft innerhalb des Personals
• Die Sensibilisierung zu Fragen der Medizinethik
• Klinische Falldiskussionen und Fallberatungen
• Die Entwicklung von klinikinternen Leit- und Richtlinien
Klinische Ethik-Komitees sind lediglich beratend tätig. Die Verantwortung für bestimmte Entscheidungen liegen beim behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin. Den Willen des Patientin oder der Patientin vertritt eine bevollmächtigte Person oder der vom Gericht bestellte rechtliche Betreuer oder die rechtliche Betreuerin.

Historisch sind die Klinischen Ethik-Komitees in den USA entstanden, die sich stark an den Normen und Werten der katholischen Kirche orientierte. Seit 1983 darf dort kein Krankenhaus mehr ohne Klinisches Ethik-Komitee tätig werden. Bereits 1991 wurden auf der Intensivstation des St. Josephs-Hospitals in Bochum Ethikkonsile durchgeführt. Die konfessionellen Krankenhausverbände haben 1997 zum ersten Mal Empfehlungen zur Einrichtung von Ethikkomitees ausgegeben. Mitglied soll immer „ein Laie mit christlicher Grundhaltung und unverstelltem Blick, der nicht an eine Profession gebunden ist sein, der mit seinem gesunden Menschenverstand ethische Probleme beurteilt“, so May.

Mit Blick auf die Praxis verdeutlicht Dr. Arnd T. May die Arbeitsweise der Ethik-Beratung im Krankenhaus: Der Referent hat sowohl die Ethik-Beratungen am Universitätsklinikum Halle an der Saale weiterentwickelt und am Universitätsklinikum Aachen aufgebaut und begleitet. Themenstellungen waren immer individuelle Fragen und Behandlungen einzelner Patientinnen und Patienten. Dazu haben sich das Behandlungsteam und das Team der Ethikberatung getroffen und diese Fragestellungen diskutiert. Da diese Beratungen in der Regel schnell und kurzfristig stattfinden sollen, sei eine externe Beteiligung deshalb schwierig.

Abschließend geht Dr. Arnd T. May auf die Laienbeteiligung in Ethikkommissionen und Ethik-Komitees ein und stellt einige kritische Fragen, die im Rahmen der Patientenbeteiligung weiter diskutiert werden sollten. Dazu gehören:
• Was bringt eine externe Perspektive bei ethischen Fragestellungen?
• Wer ist Laie? Wer wird als Laie definiert?
• Was ist das inhaltliche Anforderungsprofil? Ist der gesunde Menschenverstand ausreichend?
• Welche Interessen werden vertreten?

Dr. Arnd T. May macht deutlich, dass es wertvoll ist mit Menschen unterschiedlicher Wertvorstellungen und -haltungen ins Gespräch zu kommen und auf einer breiten und vielfältigen Grundlage zu diskutieren. Möglicherweise können Patientenvertreter und -vertreterinnen die Interessen der Patientenschaft besser im Auge behalten. Allerdings stellt sich für ihn weiterhin die Frage des Mehrwerts einer Laienperspektive. „Was machen Laien anders oder besser als die Personen, die qua Amt in Ethikkommissionen und in der Ethikberatung tätig sind?“

In der anschließenden Diskussion stand die zentrale Frage nach der Rolle der Patientenvertretung in Klinischen Ethik-Komitees und Ethikkommissionen im Raum. Ein Patientenvertreter machte darauf aufmerksam, dass die Qualität des Laien die Ahnungslosigkeit bzw. die Neugier ist, Dinge zu hinterfragen. Dadurch könnten Prozesse angestoßen und die Qualität des Diskurses verbessert werden. Dr. Arnd T. May wies darauf hin, dass für bestimmte Entscheidungen zwingen Systemkenntnis notwendig ist. Es wurde betont, dass Patientenvertreterinnen und -vertreter per se nicht ahnungslos sind, sondern sich intensiv mit der Rolle in den Gremien auseinandergesetzt haben und mit einem gewissen Erfahrungsschatz in die Gremienarbeit gehen. Zudem wären sie ohne Systemkenntnis bei vielen Fragen „aufgeschmissen“, da es sich um „Paralleluniversen“ handelt. Ein Teilnehmer machte deshalb darauf aufmerksam, dass genau das die die Aufgabe der Patientenvertretung sein kann: Licht ins Dunkeln bringen, Transparenz schaffen und Diskussionen anstoßen. Dabei sei insbesondere auch das Hineinversetzen in die Patientinnen und Patienten oder Studienteilnehmende entscheidend, um einen anderen Denkprozess anstoßen zu können, konstatiert eine Teilnehmerin abschließend.

Hier gibt es die Zusammenfassung als PDF.

Bericht der Patient/innenvertretung aus Ethikkommissionen – Ulf Jacob
Ulf Jacob, Geschäftsführer der Deutschen Rheuma-Liga NRW und Patientenvertreter in der Ethikkommission der Ärztekammer Nordrhein, berichtete in seinem Vortrag von seiner bereits 10-jährigen Tätigkeit in der Ethikkommission (am Beispiel der Ärztekammer-Nordrhein). Neben einem historischen Überblick, beginnend bei der Deklaration von Helsinki, über die Einführung des Arzneimittelgesetzes bis hin zur Umsetzung von EU-Richtlinien, erläuterte er die Organisation und Zusammensetzung der Ethikkommissionen in Nordrhein-Westfalen. Beides wird über das Landesrecht geregelt und ist daher durchaus unterschiedlich. Die Ethikkommission der Ärztekammer Nordrhein setzt sich z.B. folgendermaßen zusammen: Eine Person mit der Befähigung zum Richteramt, mindestens drei Ärztinnen bzw. Ärzte, eine Personen mit wissenschaftlicher oder beruflicher Erfahrung im Bereich der Ethik, mindestens ein Apotheker / eine Apothekerin und eine Person aus dem Bereich der Patientenvertretungen. Nur wer keine juristische, pharmazeutische, medizinische oder ethische Ausbildung hat, kann Patientenvertreter bzw. Patientenvertreterin werden. NRW ist das einzige Bundesland, in dem die Patientenvertretung in Ethikkommissionen gesetzlich fixiert ist.
Zu den Aufgaben der Ethikkommission gehören:
• der Schutz der Rechte, der Sicherheit und des Wohlergehens der Patient/innen
• die Herstellung von Vertrauen in der Öffentlichkeit
• das Verfassen von Stellungnahmen zum Prüfplan, zu den Einrichtungen und zu den Methoden der Aufklärung der Patient/innen.
Ulf Jacob merkte hierzu an: „Die Aufgaben sind in der Öffentlichkeit eigentlich gar nicht bekannt. Hier besteht auch Nachholbedarf auf Seiten der Ethikkommissionen“.
Geprüft werden vor allem Studien, die unter das Arzneimittel- oder das Medizinproduktegesetz fallen. Daneben werden auch Beratungen zu z.B. epidemiologischen oder registerbasierten Studien nach dem Berufsrecht durchgeführt. Allerdings genehmigt eine Ethik-Kommission keine Studien, sondern bewertet sie nur. Die Genehmigung erfolgt über die oberen Bundesbehörden.Im zweiten Teil seines Vortrags widmete sich Ulf Jacob der Frage, was Patientenvertreter/innen erwartet, wenn sie Mitglied in einer Ethikkommission werden. Wichtig für die Bewertung von Studien sind insbesondere die Zusammenfassung des Prüfplans und die Probandeninformation. Bei jeder Studie gilt die Grundvoraussetzung, dass die Proband/innen ausreichend informiert sein müssen. Ebenfalls gilt es zu beurteilen, ob die Forschenden ausreichend für die Studiendurchführung qualifiziert sind. Dazu wird 14 Tage vor der Sitzung bei der Ethikkommission Nordrhein ein „James-Bond-Koffer“ angeliefert, in dem alle wichtigen Studieninformationen sicher verschlossen sind. Die Sitzungsfrequenz ist wöchentlich, aber eine Teilnahme an allen Sitzungen ist nicht verpflichtend. In den Sitzungen selbst wird jeweils von einem Mitglied der Ethikkommission eine Studie vorgestellt. Patientenvertreter/innen sind hiervon zwar ausgenommen, aber: „Die Arbeit ist nicht ohne. Man muss sich durch viele Papierstapel wühlen“, erläutert Ulf Jacob.
Die Benennung der Patientenvertretung erfolgt über den Vorstand der Ärztekammer für einen Zeitraum von fünf Jahren. „Es ist nicht klar wer vorschlagsberechtigt und damit als Patientenvertreter legitimiert ist.“, so Ulf Jacob „Auch hier besteht Verbesserungsbedarf, um den Anforderungen guter Patientenbeteiligung zu genügen“.
Als Patientenvertreter/in sollte man:
– Interesse an und Verständnis für klinische Studien haben
– einen Blick über die eigene Diagnose hinaus besitzen, denn es geht um die Wahrnehmung der Interessen von Patient/innen
– über die Grundkenntnisse der rechtlichen Gegebenheiten verfügen
– ein Allgemeinverständnis von medizinischen Themen haben
– ausreichend Zeitressourcen für die anspruchsvolle Vor- und Nachbereitung besitzen
– regelmäßig an den Sitzungen teilnehmen, denn die Ethikkommission ist nicht entscheidungsfähig, wenn die Patientenvertretung nicht anwesend ist
– Zudem sind Kenntnisse der englischen Sprache von Vorteil, wenn auch nicht unbedingt notwendigHier gibt es die Zusammenfassung als PDF.
Bericht der Patient/innenvertretung aus klinischen Ethikkommitees – Klaus Wiedemann
Kleine Warnung vorab: Mein Vortrag wird einseitig, nicht ausgewogen ausfallen. Dies ist einerseits der Kürze, andererseits meiner skeptischen Haltung gegenüber Einrichtungen unseres Gesundheitssystems geschuldet.
Bei meiner Fortbildung „Ethikberatung im Krankenhaus“ habe ich von sehr unterschiedlichen Klinischen Ethik-Komitee-Modellen erfahren: Ein Klinisches Ethik-Komitee kann das Hobby eines / mehrerer Chefärzte sein; es kann von engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegründet und geführt werden; es kann von Berufs wegen von Medizin-Ethikern installiert und geleitet werden. Ethik-Komitees werden von der Geschäftsleitung manchmal unterstützt und gefördert oder als notwendiger Appendix geduldet, weil dies die KTQ Zertifizierung positiv beeinflusst.
(KTQ = Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen)
Die Kliniken der Stadt Köln gGmbH stellen über 1.500 Betten in drei Krankenhäusern bereit, beschäftigen rund 4.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und behandeln jährlich etwa 60.000 Patientinnen und Patienten stationär und mehr als doppelt so viele ambulant.
Das Klinische Ethik-Komitee (KEK) wurde 2005 installiert und hat seitdem Fortbildungen angeboten und stand in ethischen Fallbesprechungen Ärzten, Pflegekräften und Patienten / Angehörigen in Krisensituationen beratend bzw. moderierend bei. Seit 2005 wurden 48 Einzelfallbesprechungen durchgeführt, weitere 22 waren angefragt, sind jedoch nicht zustande gekommen. Seit 2014 bin ich Mitglied des KEK der Kliniken der Stadt Köln und eines von drei Mitgliedern, die nicht Mitarbeiter sind. Insgesamt hat unser KEK 19 Mitglieder.
Ich staune immer, welche Themen dort aufgegriffen, welche Aktivitäten initiiert wurden und werden. Kaum erschien mir ein Thema so wichtig zu sein, um im KEK behandelt zu werden, erfuhr ich, dass schon andere Mitglieder dieses Thema seit geraumer Zeit bearbeiten.
Es sind die außergewöhnlich engagierten Mitglieder im KEK der Kliniken Köln, die von Anfang an mit viel Energie und Sinn für das Machbare ethische Themen bearbeiten. So waren Mitglieder des KEK eingebunden bei der Erstellung von Verfahrensanweisungen zur Organtransplantation, zum Umgang mit Sterbenden und Verstorbenen, zur Aufklärung von Patienten mit infauster Prognose. Ethische Themen sind Bestandteil bei ärztlichen und pflegerischen Fort- und Weiterbildungen. Anfang dieses Jahres wurde die Ausbildung von Ethik-Mentoren mit großem Erfolg initiiert: Das sind Multiplikatoren / Mitarbeiter, die vor Ort – auf den Stationen bzw. in den Abteilungen -, insbesondere bei ethischen Konflikten ihr Wissen einsetzen. Diese Mentoren wurden und werden ausgebildet, um
– zu informieren und beraten
– für ethische Themen zu sensibilisieren
– Kenntnisse weiterzugeben
– die Hemmschwelle für ethische Einzelfallbesprechungen zu senken
– Angehörige zu integrieren
– und multiprofessionelle Zusammenarbeit zu fördern
Außerdem wird vom KEK jährlich ein Vortrag organisiert und durchgeführt. Das Thema des 9. Ethikforums behandelt mit Vorträgen und einer Podiumsdiskussion das Thema: „Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen“.
Bei so engagierten und weitblickenden Mitgliedern im KEK frage ich mich, was meine Aufgabe als Patientenfürsprecher in diesem KEK ist?
Seit 2011 bin ich als ehrenamtlicher Patientenfürsprecher in einem der drei Krankenhäuser tätig. Ich war bis dahin unserem Gesundheitssystem weitgehend nur als Beitragszahler verbunden. So lernte ich erst als Patientenfürsprecher unser komplexes Gesundheitssystem stückchenweise kennen. So wie ich auch den Krankenhausalltag ganz allmählich besser kennengelernt habe, aber einiges mit meinem sogenannten „gesunden Menschenverstand“ immer noch nicht verstehe.
Aufgrund meiner Tätigkeit als Patientenfürsprecher erfahre ich von Patienten oder deren Angehörigen, wie Aktivitäten oder „Nicht-Aktivitäten“ im Krankenhaus von Patienten empfunden werden. Dabei muss man sich stets bewusst sein, dass Einzelfälle geschildert werden. Allerdings lässt vermuten, bei mehreren Einzelfällen mit gleichem Tenor, dass es ein grundsätzliches Problem gibt. Da es um das individuelle Patientenwohl geht, kann es dann auch um eine ethische Frage gehen.
In den Augen einiger KEK Mitglieder ist es der Blick von außen, dem ich meine Rolle dort verdanke. Der unbefangene Blick auf das Krankenhausgeschehen im Kontext unseres Gesundheitssystems. Mit dem Blick von außen, sehe ich, wie ökonomische „Zwänge“, ethisches Handeln behindern oder gar verhindern. Ich sehe auch, wie Ärzte und Pflegekräfte ungewollt zu Dienstleistern mutieren (Stichwort Fallpauschale). Ärzte und Pflegekräfte können sich nicht primär um das komplexe Wohl des Patienten kümmern, sondern arbeiten die Einzelposten der Fallpauschale ab. Dabei bleiben zentral menschliche Erfordernisse wie Einfühlungsvermögen, Mitgefühl, Ermunterung und Trost auf der Strecke. Einfühlungsvermögen, Mitgefühl, Ermunterung und Trost verlieren im ärztlichen und pflegerischen Bereich allmählich ihre Bedeutung, denn sie sind nicht messbar, nicht zählbar und werden somit auch nicht bezahlt. Gerade weil sie unbezahlbar, nämlich wichtig für die Stärkung des Patienten sind, dienen sie dem Patientenwohl.Politik, Ökonomie und partikulare Interessenverbände beeinflussen somit das ärztliche und pflegerische Handeln stärker als es dem Patientenwohl gut tut.
Die am individuellen Patientenwohl orientierte Entscheidungsfreiheit des Arztes zu erhalten, sodass er allein seinen ethischen Prinzipien folgen kann (Stichwort: Berufsethos), darin sehe ich die Rolle der Patientenvertretung im KEK. Diese Aufgabe der Patientenfürsprecher bleibt jedoch nicht auf die Tätigkeit im KEK und damit auf ein Krankenhaus beschränkt, sondern sollte auch in den anderen Bereichen des Gesundheitssystems wirken.
Die wirtschaftlichen Zwänge, denen die Heilberufe unterworfen sind, werden ja schon seit einigen Jahren benannt. Zum Beispiel in Stellungnahmen der Bundesärztekammer („Medizinische Indikationsstellung und Ökonomisierung“, „Ärztliches Handeln zwischen Berufsethos und Ökonomisierung“) oder auch Veröffentlichungen des Deutschen Ethikrats („Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen“, „Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus“). Geändert hat sich bisher nicht viel.
Vielleicht bin ich als Patientenvertreter im KEK ein „fünftes Rad am Wagen“, oder ich diene als Feigenblatt. Vielleicht ist meine Rolle der erhobene Zeigefinger, der an das Berufsethos mahnt. Ich weiß, mein Einfluss ist gering, falls überhaupt vorhanden. Gelernt habe ich in diesen wenigen Jahren: Ökonomische Faktoren bestimmen immer mehr im Krankenhaus das Handeln der Ärzte und Pflegekräfte, so sehr sich jeder Einzelne auch dagegen wehrt. Somit sehe ich meine Rolle im KEK als kritischer Beobachter und Begleiter. Ich möchte dazu beitragen, das individuelle Patientenwohl stärker in den Fokus der medizinischen Versorgung zu rücken.Die heutige Tagung findet im St. Anna Hospital statt. Ein sehr schön umgebautes Krankenhaus. Es trägt das Wort Hospital im Namen: hospitale‚ das Gasthaus; ein Ort, an dem man sich um das Wohlergehen des Gastes kümmert. Ich hoffe, es wird hier in diesem Sinne gearbeitet, denn aus gutem Grund wurde es nicht St. Anna Dienstleistungszentrum für Gesundheit bezeichnet.Hier gibt es die Zusammenfassung als PDF
Das Baby als passgenaues Wunschprodukt- ethische Dimensionen die Veränderungen in unserer Gesellschaft bewirken? – Rita Lawrenz
Rita Lawrenz, Geschäftsführerin des Arbeitskreises Down-Syndrom, berichtete aus ihrer Arbeit in der PiD-Ethikkommission, die 2016 ihre Arbeit aufgenommen hat.
PiD steht für Präimplantationsdiagnostik. Präimplantationsdiagnostik bezeichnet die molekulargenetischen und zellbiologischen Maßnahmen die nach der künstlichen Befruchtung aber vor dem Einsetzen der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter durchgeführt werden. Die meisten Deutschen sind nicht, wie der Gesetzgeber der Auffassung, eine befruchtete Eizelle müsse bereits als menschliches Wesen betrachtet werden. „Es ist ein ganz großer Fachbereich, den ich so langsam erst erahne“, erklärt Rita Lawrenz. „Da muss ich als Patientenvertreterin auch darauf vertrauen, dass die Angaben, die der Arzt oder die Ärztin machen, korrekt sind und die Unterlagen ausreichend erklärt werden“, so die Referentin. Die Ethikkommission hat nur zu entschieden, ob ein hohes genetisches Risiko bei der Frau oder dem Mann von 25 % bis 50 % für eine Erbkrankheit besteht, die Lebenserwartung des Babys gering ist oder eine schwerwiegende Schädigung des Embryos zu erwarten ist, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird. Erst nach der Befürwortung des Antrages durch die PID Kommission dürfen Maßnahmen der Präimplantationsdiagnostik durchgeführt werden.Die PiD-Ethikkommission setzen sich wie folgt zusammen: eine Ethikerin/einen Ethiker, einen Juristen/eine Juristin, eine Person aus der Patientenvertretung und eine Person aus der Selbsthilfe. Daneben gibt es, anders als in anderen Ethikkommissionen, vier Sachverständige aus den Fachbereichen der Humangenetik, der Kinderheilkunde, der Reproduktionsmedizin und der Psychotherapie, die die Fälle vorstellen. Zusätzlich können weitere Sachverständige einbezogen und schriftliche Gutachten angefordert werden. In vielen Fällen werden zusätzlich auch der Antragssteller oder die Antragstellerin hinzugezogen. „Sie müssen dann erläutern, warum die Präimplantationsdiagnostik für sie der einzige Weg ist“ erklärt Rita Lawrenz. Keine leichte Aufgabe. Denn: „Oft haben die Paare schon sehr schwere Zeiten durchgemacht, bevor sie eine Präimplantationsdiagnostik in Anspruch nehmen wollen bzw. können. Sie haben bereits viele traumatische Kinderwunscherfahrungen gemacht“, berichtet Rita Lawrenz. Die Aufgabe der Kommission ist es dann zu bewerten, ob Maßnahmen der Präimplantationsdiagnostik durchgeführt werden können. „Ich sehe meine Rolle als Patientenvertreterin darin dieses Dilemma nachzuempfinden, da ich selbst in der Beratung von Eltern mit Kindern mit Down-Syndrom tätig bin“, so Rita Lawrenz.Die Untersuchungen im Vorfeld einer PiD-Ethikkommission dauern ungefähr sechs Monate. Insgesamt ist das gesamte Prozedere für die Eltern mit sehr hohen Kosten verbunden. Die Gebühren für die Ethikkommission liegen bei 3.000 €. Für die Untersuchung und genetische Diagnostik kommen zusätzlich rund 10.000 € pro Versuch hinzu, die von den Eltern selbst getragen werden müssen. In der Regel sind drei Versuche notwendig. „Wenn man diese Kosten sieht, dann kann man sicher sein, dass sich die Eltern sehr reiflich überlegt haben, ob sie diesen Weg gehen wollen“, erklärt Rita Lawrenz. Ein ethisches Dilemma, welches mit der Präimplantationsdiagnostik einhergeht ist, dass Embryonen „auf Probe“ hergestellt werden weitere Erkrankungen bis hin zum gesamten Genom hergestellt werden können. „Daher glaube ich, dass auf die Ethikkommissionen weitere Aufgaben in Zukunft zukommen werden“, resümiert Rita Lawrenz.In der anschließenden Diskussion wurden insbesondere die hohen Kosten erörtert, da kostenbedingt eine Präimplantationsdiagnostik möglicherweise nur für reiche Ehepaare zur Verfügung steht. Ein Teilnehmer merkte an, dass in Kinderwunschzentren häufig Werbung für Kredite gemacht werde und die Überschuldungsneigung von Eltern mit großem Kinderwunsch sehr hoch sei, was er als „verstörend“ empfinde. Insgesamt ist fraglich, warum, wenn der Gesetzgeber das Verfahren zulässt, eine Finanzierung nicht gegeben sei und der Zugang zur Präimplantationsdiagnostik nicht für die gesamte Solidargemeinschaft offen ist.Hier gibt es die Zusammenfassung als PDF.